Bad Malente im März 2023. In einem Tagungszentrum, an einem idyllischen See gelegen, trafen sich wieder einmal viele Schreibwillige, um in verschiedenen thematischen Gruppen gemeinsam Schreibimpulse zu entwickeln und auszuprobieren. Das Thema diesmal: L…CKEN – Über das Verschwinden.
Ich selbst schloss mich einer illustren 😉 Truppe an, die sich in Anlehnung an das Radiohead-Lied „How to disappear completly“ schreibend mit der Frage auseinadersetzen wollte, ob und wie es möglich sein kann, tatsächlich komplett zu verschwinden. Eine harte Nuss, die wir uns da vornahmen zu knacken. Wir haben viel versucht. Und es hat mal wieder verdammt Spaß gemacht!
Als Warm-Up haben wir dem titelgebenden Song gelauscht und dann 10 Minuten frei dazu geschrieben.
[...] Ich bin nicht hier. Mir wächst eine warmglühende Laterne aus der Stirn, ein Leuchtpilz, ich werfe Schatten in das liquide schwarze Blau oder das blaue Schwarz. Ich bin nicht hier oder da, weil hier oder da nichts geschieht. Ich schreite an Grund entlang, taste mich durch das leise Glühen meines eigenen Lichts, streife meine eigenen Schatten...
Obwohl beim freien Schreiben nicht unbedingt üblich, haben wir unsere Zeilen einander vorgelesen und waren untereinander von einzelnen Formulierungen so bewegt, dass daraus der Wunsch entstand, als nächstes eine kleine Kollaboration zu starten.
Wir begannen erneut mit einem Freewriting, diesmal aber zu John Cages Klavierstück „4’33“, benannt nach dem Zeitraum, in dem nicht eine Klaviertaste angerührt wird. (Daher, falls du dem Link gefolgt bist, mit deinem Lautsprecher ist vermutlich alles okay und die Aufnahme ist nicht fehlerhaft. Die Stille, und natürlich auch, was sie beim Publikum provoziert, ist der Clou des Stücks.)
[...] & ich? Verschränke mich, verknote mich & warte & walle & wabere. Selbst wenn ich still bin, schweige ich nicht. [...]
Die Texte wurden wieder vorgelesen, aber dieses Mal haben wir uns gegenseitig bedient, haben Sätze und Formulierungen gesammelt, um diese in einem neuen Text zu verweben.
Die verschiedenen von uns geknüpften Wortteppiche waren allesamt wunderschön und berührend. Mehr davon und zu den einzelnen von uns und den anderen Gruppen ausprobierten Verfahren findest du in den Segeberger Briefen N° 107.
Zwischen all den eher kooperativen Schreibübungen haben wir uns auch Zeit genommen, uns dem Thema des kompletten Verschwindens ganz persönlich anzunähern. Allein im Schreiben ist mir das allerdings nicht gut gelungen, zu schwer war das Thema für mich da zu fassen. Wieder einmal war es meine Passion, die Collage, die mir den Zugang ermöglichte. Hier konnte ich verschwinden und das Verschwinden mit mir. Kannst du uns beide wiederfinden? 🙂
In unserer allerletzten Annäherung an das Thema, haben wir einen eher praktischen Ansatz versucht, nämlich im Flacker-Licht eines Stroboskops zu verschwinden. Auch diese Erfahrung haben wir natürlich schreibend verarbeitet.
Taktflackern
Tick, tick, tick,
bin da,
bin nicht,
bin gezackt & eckig,
im Bewegen verdächtig,
in den Schatten vertrackt
& stetig weg vom Fleck.
Das eigene Sein verbirgt sich dem Blick,
wird zum Schatten-Ich, zum matten Ich,
50 shades of Grau flackert, tick, tick, tick.
Ich, ein schwarzgrauer Fluss, der sich bricht, bricht, bricht…
Ich fühl mich so schattig,
so teilzeitbelichtet,
gefaltet, gesplintert,
in Sekunden geschichtet,
tick, tick, tick
springt & zerfasert mein Blick, mein Ich,
kaum zu fassen
die Phasen stroboskopischen Lichts,
auch danach noch zu spüren,
diese Zeit, diese Zeit,
wie sie tickt, wie sie tickt,
tick, tack, tick,
tick, tack, tick
tick, tack, tick,
tick, tack,
nichts…
mw.