Damit ein Künstler frei an einem Projekt arbeiten kann, muss er frei von Ressentiments (Wut) und Widerstand (Angst) sein. Was meine ich damit? Ich meine, dass jede tief verschüttete Barriere verbalisiert werden muss, bevor die Arbeit weitergehen kann. Dasselbe gilt auch fiir jeden Vorteil, den einem der Verzicht auf die kreative Arbeit einbringt. Blockaden haben nichts Geheimnisvolles. Sie sind leicht als künstlerische Verteidigungsmechanismen gegen etwas erkennbar, das (zu Recht oder zu Unrecht) als feindliche Umgebung wahrgenommen wird.
Denken Sie daran, Ihr innerer Künstler ist ein kreatives Kind. Er schmollt und grollt, er bekommt Wutanfalle, er hat irrationale Ängste. Wie die meisten Kinder hat er Angst vor der Dunkelheit, vor dem »sehwarzen Mann« und vor jedem gruseligen Abenteuer. Als Eltern und Beschützer Ihres kindlichen Künstlers, als sein großer Bruder, Krieger und Gefährte ist es Ihre Aufgabe, ihn davon zu überzeugen, dass er sicher ist und zum Spielen herauskommen kann.
Wenn Sie gerade mit einem neuen Projekt beginnen, dann sollten Sie Ihrem inneren Künstler ein paar einfache Fragen stellen. Sie werden helfen, die Schreckgespenster, die zwischen ihm und Ihrer Arbeit stehen, zu verscheuchen. Stecken Sie mitten in einem Projekt und ist Ihre Arbeit schwierig geworden oder Sie haben sich verzettelt, dann helfen dieselben Fragen gewöhnlich, den gehemmten Fluss wieder in Gang zu bringen.
1. Zählen Sie alle Ressentiments (Wut) auf, die Sie im Zusammenhang mit diesem Projekt haben. Es spielt keine Rolle, wie kleinlich, pingelig oder irrational diese Ressentiments Ihrem Erwachsenen-Selbst erscheinen mögen. Für Ihr Künstlerkind ist Groll eine sehr wichtige Angelegenheit.
Einige Beispiele: Ich hasse es, der zweitbeste und nicht der beste Künstler zu sein… Ich hasse diese Lektorin, die ist so pingelig und sagt nie etwas Nettes… Ich hasse es, für diesen Depp zu arbeiten; er bezahlt mich nie pünktlich.
2. Bitten Sie Ihren inneren Künstler, wirklich alle Ängste im Hinblick auf das zukünftige Projekt zu nennen. Noch einmal: Diese Ängste können so albern sein wie die eines zweijährigen Kindes. Es spielt keine Rolle, dass sie für Ihr erwachsenes Auge unbegründet sind. Für Ihr Künstlerkind sind sie große, beängstigende Monster.
Einige Beispiele: Ich habe Angst, dass die Arbeit nichts taugt, es mir aber keiner sagt… Ich habe Angst, dass die Arbeit gut ist, es mir aber keiner sagt… Ich habe Angst, dass all meine Ideen abgegriffen und unmodern sind… Ich habe Angst, dass meine Ideen ihrer Zeit voraus sind… Ich habe Angst, dass ich in der Gosse lande… Ich habe Angst, dass ich nie fertig werde… Ich habe Angst, dass ich nie anfangen werde… Ich habe Angst, dass es mir peinlich sein wird. (Es ist mir schon peinlich.) … Die Liste lässt sich endlos fortführen.
3. Fragen Sie sich, ob das alles ist. Haben Sie irgendeine winzige Angst vergessen? Haben Sie irgendeine »dumme« Wut unterdrückt? Bringen Sie sie zu Papier.
4. Fragen Sie sich, was Sie davon haben, wenn Sie sich vor dem Projekt drücken.
Einige Beispiele: Wenn ich das Stück nicht schreibe, dann kann es niemand hassen … Wenn ich den Text nicht schreibe, dann wird sich mein blöder Lektor ärgern… Wenn ich nicht male, vor der Kamera stehe, singe, tanze, dann kann ich andere in dem Bewusstsein kritisieren, dass ich es besser machen könnte.
5. Treffen Sie Ihre Abmachung. Die Abmachung lautet: »Okay‚ kreative Kraft, du kümmerst dich um die Qualität, ich werde mich um die Quantität kümmern.« Unterschreiben Sie Ihre Abmachung, und bringen Sie sie auf den Weg.
Eine Warnung: Diese Übung ist sehr kraftvoll; sie kann der Blockade Ihrer Kreativität ernsthaft zu Leibe rücken.
Julia Cameron: Der Weg des Künstlers, S. 266ff.
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[…] Bist Du bereit, für dein künstlerisches Schicksal verantwortlich zu sein? Dann kann dir eine Übung von Julia Cameron vielleicht […]
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