Woche 3: Wie ein Schweizer-Taschenmesser-Mann mit mir synchron geht & warum Scham & Wut nicht auf der selben Seite stehen

Ich hatte Urlaub letzte Woche. Ich habe keine große Reise unternommen, sondern war mit meiner Schwester, ihren Kindern und unseren Eltern unterwegs. Wir haben viel im Garten gewerkelt, haben Phase 10 gespielt und waren auf dem Rittergut München bei Bad Berka, um die Minischafe und Alpakas zu füttern.

Jeden Morgen bin ich eine Stunde vor dem gemeinsamen Frühstück aufgestanden und habe meine Morgenseiten geschrieben. Und zwischendrin ist es mir auch immermal gelungen, mir Zeit für mich und den Weg des Künstlers zu nehmen. Nur der Künstlertreff musste warten, bis ich am Sonntag wieder bei mir zu Hause war. Ich habe die plötzliche Ruhe genossen, habe mir einen Cappuccino kredenzt, kuschelte mich in meine Sofadecke und habe mir zusammen mit meiner inneren Künstlerin einen wirklich, w i r k l i c h schrägen Film angesehen: Swiss Army Man

Ich mag es schräg. Ich hatte seiner Zeit den Trailer zu dem Film gesehen und wusste gleich, dass er ein Juwel sein würde. Ich wollte ihn unbedingt sehen. Allerdings war die sehr spezielle Schieflage des Streifens den Kinos meiner Heimatstadt wohl etwas zu extrem, also wartete ich sehnsüchtig auf die DVD.

Diese hatte ich mir dann auch nach Erscheinen recht schnell bestellt, kam aber einfach nicht dazu, sie mir anzusehen. Mein dritter Künstlertreff war dafür dann endlich der perfekte Moment. Das Bunte, Absurde, Famose und Freche, ja Schamlose des Film überwältigte mich, ließ mich angenehm irritiert mit dem absolut gewollten WTF-Gefühl zurück. 

Vielleicht fragst Du dich, warum ich dir das erzähle… Vielleicht willst Du wissen, was dieser Film mit dem Weg des Künstlers zu tun hat, abgesehn vom Künstlertreff… 

Mir hat sich die Frage jedenfalls gestellt, als ich über das Phänomen der Synchronizität nachdachte, das eines der Themen der dritten Woche ist. (Apropos: Blog-Synchronizitäten mit Einblick dahinter)

Der Begriff der Synchonizität wurde von C.G. Jung geprägt und bezeichnet das vermeintlich zufällige oder glückliche Zusammentreffen von akausalen Ereignissen. Julia Cameron hingegen glaubt in diesem Zusammenhang natürlich weder an Zufall noch am Glück.


Jung […] folgte seiner inneren Führung und konnte deshalb ein Phänomen erfahren und beschreiben, das die meisten von uns lieber ignorieren: ein intelligentes Universum, das uns antwortet und in unsererm Interesse agiert und reagiert.

Julia Cameron: Der Weg des Künstlers, S. 118.


Egal, wie Sie das Phänomen bezeichnen, schreibt Julia Cameron ebenda, sobald Sie sich auf die Reise zu Ihrer Kreativität begeben, werden Sie ihm überall begegnen.

Insofern lag die Frage nah, ob auch mein Filmabend solch eine synchronistische Erfahrung war. Der Zusammenhang wurde mir allerdings erst klar, als ich später über das Wochenthema Scham nachdachte.


Wen die Angst handlungsunfähig macht, der wird meist von einem noch viel älteren Feind sabotiert: der Scham. Scham ist ein Instrument der Kontrolle. […] Sie quält uns vor allem dann, wenn wir früher wegen unserer Neugier bei der Erforschung sozialer, sexueller und spiritueller Themen beschämt wurden. »Wie kannst du es wagen?«, wüten zornige Erwachsene, […].

Julia Cameron: Der Weg des Künstlers, S. 122.


Ganz plötzlich verstand ich: So schamlos Swiss Army Man in seiner Bild- und Tonsprache ist, so sehr ist Scham ein wichtiges Thema des Films.
Hank, die Hauptfigur, ist sozusagen der Inbegriff des beschämten Mannes. Er schämt sich für seine Fürze. Er schämt sich zu mastubieren. Er schämt sich zu lieben…
Bist du behindert?, fragt sein Vater ihn in seiner Kindheit wiederholt und beschämt Hank damit so sehr, dass dieser am Ende blockiert ist als Mensch. Hank, der wie sich später herausstellt auch Künstler ist, schämt sich für seine bloße Existenz.
Er flieht vor sich selbst, strandet auf einer einsamen Insel und findet am Rande der Verzweiflung eine Leiche am Strand, die ihn zuerst mittels ihrer Verwesungsflatulenzen skurriler Weise ans Festland bringt und später auch zu sprechen beginnt. Hank und Manny, wie er den vielfach hilfreichen Untoten nennt, freunden sich auf der folgenden abenteuerlichen Reise nach Hause an.
Doch ich will nicht alles verraten, nurnoch so viel: Manny, dem das Gefühl selbst fremd ist, macht Hanks Scham traurig.
Wenn mein bester Freund seine Fürze vor mir verbirgt, welche Geheimnisse hat er dann noch vor mir?, fragt er sich irritiert. Und so naiv die Frage anmutet, so sehr bringt sie es auf dem Punkt: Scham verhindert, dass wir authentisch sind. Sie tarnt sich als Schutzschild, doch in Wahrheit ist sie ein Gefängnis, dass es zu zerstören gilt. Sonst bleiben wir in unserer Kreativität weiterhin gehemmt.

Weißt Du, welches Gefühl uns helfen kann, diesen neuen, von Scham befreiten Weg zu gehen?
Wut ist die Antwort.
Ohje, denkst Du vielleicht, Wut ist so schrecklich destruktiv. Und ja, sie ist ein verpöntes Gefühl, aber damit eben auch ein verkanntes Gefühl.


Wut ist der Feuersturm, der den Tod unseres alten Lebens anzeigt. Wut ist der Brennstoff, der uns in unser neus Leben katapultiert. Wut ist ein Werkzeug, kein Lehrmeister. Wut ist dazu gedacht, angezapft und genutzt zu werden. Richtig genutzt, ist Wut äußerst nützlich. […]

[Sie] wird uns immer sagen, wann wir betrogen worden sind und wann wir uns selbst betrügen [und] wann es an der Zeit ist, in unserem ureigensten Interesse zu handeln.

Wut ist nicht die Handlung selbst. Sie ist die Aufforderung zum Handeln.

Julia Cameron: Der Weg des Künstlers, S. 114f. 


Also: Schäme Dich nicht und wenn Du wütend bist, höre gut hin! 

In diesem Sinne, auf Wiedersehen in Woche 4. 🙂

 

 

16 Kommentare zu „Woche 3: Wie ein Schweizer-Taschenmesser-Mann mit mir synchron geht & warum Scham & Wut nicht auf der selben Seite stehen“

  1. Liebe Mo…
    konnte mir trotz anderer Aufgaben im Kalender nicht verkneifen, den Trailer anzuschauen. Unglaublich. Ich hab es zwar nicht so mit Splatter-Movies, doch den will ich sehen! Deinen Post durchdenke ich die Tage – ich komm wieder, keine Frage:)

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  2. Hat dies auf Mia.Nachtschreiberin. rebloggt und kommentierte:
    Liebe Mo,
    ich habe sofort Bilder im Kopf, wenn ich deine Beiträge lese, setze mich hin und lasse mich mit und in deinen Wörtern mitnehmen …
    Das ist Kopf-Kino für mich, danke dafür.
    Und da passen die beschriebenen Kinofilme wunderbar zu, den beschriebenen war auch den Programmkinos meiner Umgenung zu strange, habe ihn als Streaming-Version gesehen, weil ich gerne Daniel Radcliffe in dieser Rolle erleben wollte … Ich mag diese schräge Art auf die Welt zu schauen.
    Herzliche Grüße,
    Sabine

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  3. Liebe Mo
    Synchronizität! Also vor ziemlich genau 15 Jahren war ich mit meinen besten Freund*innen in einem traumhaften Haus in der Toscana. Dort haben wir auch immer Phase gespielt. Der eine Freund, der mittlerweile auch in Berlin lebt und mit dem ich viel Zeit (auch kartenspielend) verbringe, hat damals ein besonderes Phasen-Set gebastelt. Da waren u.a. ich und die Freundin abgebildet, bei der ich jeweils wohne, wenn ich in Zürich bin. Zusammen kombiniert ergaben wir die sogenannte Hysterie-Phase. Du kannst Dir in etwa vorstellen, wer beim Spiel die lautesten Zwei waren…
    Was man so alles mit einem ‚Schweizer‘ anstellen kann muss ich mir natürlich auch unbedingt anschauen! Danke für den Tipp.
    Dein Blog macht mich richtig froh, danke.
    Bis morgen, herzlich, Urs

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    1. Ha, wie cool. Das ist ja eine tolle Idee, so ein selbstgemachtes Kartenspiel. Die Hysterie-Phase finde ich großartig. 😀
      & gern doch. Swiss army man hat für mich Kultfilm-Charakter. Zum Glück ist den beiden Daniels (bzw. eigentlich ja den 3 Daniels) so schnell nix peinlich, da entsteht dann halt Filmkunst jenseits der Blockbuster…
      bis morgen
      liebste Grüße
      mo…

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      1. Liebe Mo,
        Scham und Wut – zwei Gefühle so nah beieinander, auch wenn wir sie uns oft entfernt denken. Wut ist toll, Wut treibt an und bringt Veränderung und ist Lebensenergie pur und doch fühlen viele ihre Wut als Ohnmacht, wenn sie überrollt werden von ihr, wenn sie uns wie ein Feuersturm handlungsunfähig zu machen scheint. Dann schämen wir uns oft, weil wir angeblich nichts mehr im Griff haben und die Hilflosigkeit zu siegen scheint.
        Schreibe ich ihr, meiner Wut, wird sie milder, so dass ich mich ihrer Energie und ihres Antriebs bedienen kann. Manchmal setze ich sie mit der Scham und der Schuld an einen runden Tisch und lasse sie alle munter erzählen. Eigentlich könnten sie auch mal Phase 10 spielen, um Urs Idee aufzugreifen. Wenn sich dann noch die Liebe und die Herzenswärme dazugesellen, bin ich zufrieden mit meinem illustren Tischkreis und blicke wieder frohgemut in den Tag.

        Beste Grüße
        Hedda

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  4. Liebe Mo…, als wäre dein Post ein Impuls gewesen. Scham ist nun schon den dritten Tag mein beherrschendes Gefühl. Das fing in Berlin an und hat sich in Erfurt in ganz anderem Zusammenhang fortgesetzt. Und weil ich aus diesem Gefühl nicht rauskomme, bin ich umso gespannter auf meine nächste Woche, wenn Kapitel 3 ansteht! Denn so einfach finde ich es nicht, der Scham die Wut (die ich auch gut kenne) entgegenzusetzen. Die Frage ist doch: Wie? Ich greif das noch einmal auf, falls ich weiterkomme. Tanz selig in den Mai, Amy.

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  5. Liebe Mo…
    Scham und Wut – was für ein Paar. Für mich: Geister aus dem Gruselkabinett der Kindheit. Ich glaube, es ist wichtig beiden als Erwachsene ins Gesicht zu gucken und sie dabei voneinander zu trennen. Ich empfinde Wut nämlich inzwischen als positiven Antrieb mich meinen Mitmenschen so zuzumuten, wie ich bin, mit allen meinen Unzulänglichkeiten. Die Scham könnte dies verhindern und dann bleibt Lebensenergie ungenutzt und ich verstumme zeitweilig. Manchmal ist das noch ein K(r)ampf.
    Liebe Grüße
    Anne

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  6. Liebe Mo,
    vielen Dank für diese interessante Perspektive auf das Schamgefühl. Dein Eingangbild „Schäm dich nicht“ finde ich übrigens optisch super kreativ gestaltet und hat mich sofort in deinen Artikel gezogen.
    Julia Cameron trifft es sehr gut, wenn sie sagt, dass Schamgefühl ein Instrument der (Selbst-) Kontrolle ist. Fast immer wird uns das Schamgefühl schon in der Kindheit im Rahmen unserer Erziehung eingeflößt. Umso nachvollziehbarer, dass jeder künstlerischer Ausdruck auch eine Befreiung von dieser inneren Zensur sein muss. Kunst muss schamlos sein! Auch wenn diese These provokant klingt – da steckt Wahrheit drinnen.
    Sehr passend dazu ist deine Filmauswahl. Habe mir den Trailer zu „Swiss Army Man“ angesehen und verstehe, was du meinst.
    Und Wut ist bestimmt ein gutes Gegenmittel, vielleicht auch ein Ausweg, aus dem hemmenden und einengenden Schamgefühl.

    Herzliche Grüße
    Ulrike

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    1. Liebe Ulrike,

      super zusammengefasst: „dass jeder künstlerischer Ausdruck auch eine Befreiung von dieser inneren Zensur sein muss. Kunst muss schamlos sein!“
      Dankeschön!

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